Rezension meiner CD "Beziehungsweisen" von David Wonschewski
Es gäbe für ihn, so ließ Henrik Geidt anlässlich der Veröffentlichung
seines letztjährigen Albums „Rien ne va plus“ verlauten, bisher
schlichtweg keinen Anlass das Saarland zu verlassen. Ein Statement, das
in erster Linie privater Natur ist, lebt der so umtriebige und
weitgereiste Chansonnier doch seit seiner Geburt dort. Ein Umstand, der –
und damit schlagen wir den Bogen zum künstlerischen Bereich – von den
Medien bisher allerdings wahlweise als Alleinstellungsmerkmal oder aber
Stigma kommuniziert wird. Denn seit der studierte Musiker 2008 sein
Debütalbum vorgelegt hat, hat Henrik Geidt sich fraglos zu einem der
zuvorderst zu nennenden Chansonniers seines Bundeslandes entwickelt,
dessen Lieder gern gesendet werden über die Kanäle des Saarländischen
Rundfunks – jenseits seiner Heimat ist bis dato dafür umso abrupter
Schluss, geht bei Sendeanstalten wie Veranstaltern allzu schnell und
allzu unberechtigt der Vorhang runter. Zu Unrecht, wie er nun mit seiner
CD „Beziehungsweisen“ zum – man weiß schon gar nicht mehr wievielten Male – unter Beweis stellt.
Seine Vielseitigkeit (Geidt verfügt neben dem Chanson auch über
weitreichende Ausbildung und Erfahrung im Jazz, in der Kirchenmusik oder
mit seinem Bariton auch im Opernbereich) stand dem sympathischen
Saarländer bis zu „Rien ne va plus“ fast noch mehr im Weg als seine
Herkunft; war dieser Vielseitigkeit bei aller fachlichen Brillanz doch
anzuhören, dass der so sehr in seiner Heimat Verwurzelte musikalisch auf
der Suche war. Pop-, Rock-, vereinzelt sogar elektronische Spielereien
ließen zwar sofort aufhorchen unter jenen, die sich freuten über so viel
ungebändigte Experimentierlust, sie ließen sich nur denkbar schlecht in
Schubladen stecken, so dass Geidt schnell den Ruf bekam zwar mutig,
aber kaum verlässlich einsortierbar zu sein.
Mit „Rien ne va plus“ erfolgte 2014 dann der Schwenk, Geidt beschloss
seine diversen musikalischen Talente nicht mehr zeitgleich vom Stapel
zu lassen und sich selbst einer klanglichen Reduktion zu unterziehen.
Geidt am Piano, begleitet von seinem Freund und Kollegen, dem
Kontrabassisten Jörg Jenner, mehr brauchte es nicht. Mut zur
Sparsamkeit, so könnte man das Konzept nennen. Mit dem Geidt
dementsprechend auch außerhalb des Saarlandes erste Erfolge feiern
konnte. Beim Liedermacherfestival in Geretsried erhielt er den Jurypreis
und – auch nicht von schlechten Eltern – eine Nominierung zum Preis der
Deutschen Schallplattenkritik.
Und nun also „Beziehungsweisen“, eine Platte, die
eindrucksvoll zeigt wie sehr ein nicht mehr ganz so breitgefächerter
Stil wie ehedem doch zugleich eine künstlerische Fortentwicklung sein
kann. Denn Geidt, es lässt sich nicht anders sagen, blüht auf. Bei aller
Brillanz, so merkt man nun in der Rückschau, hatten die Chansons auf
„Rien ne va plus“ dennoch stets ein wenig gewirkt als sei Geidt ein
Autofahrer, der nachts und bei Nebel auf einer schlecht beleuchteten
Landstraße unterwegs ist. Konzentration als höchstes Gebot. Davon ist
auf „Beziehungsweisen“ nun gar nichts mehr zu
verspüren, denn ohne sein so wunder passendes neues Klangkorsett zu
verlassen versprüht der Chansonnier eine Spiellaune, die gerade in einem
Lied wie „Allerletzte Runde“ mitsamt seiner so
wirkungsvoll in Szene gesetzten Klarinette fast schon Klezmer-Züge
trägt. Beschwingt reißt das Stück uns mit, unentrinnbar werden wir in
diesen feierlustigen Refrain hineingezogen, werden verschluckt von Wein,
Weib und Gesang.
Überhaupt diese leicht angesäuselten Liebeslieder, sie scheinen – mal
romantisch, mal ausgelassen, mal sanft ironisch – Geidts wirkliches,
sein neues Alleinstellungsmerkmal zu sein. Nicht weniger als das
erkennen wir anhand einer Komposition wie „Wär doch mal schön“,
in der es ihm gelingt die Härte des Beziehungsalltags spielerisch
tänzelnd mit einem Schmunzeln unters Volk zu bringen, derweil „Das sogenannte Leben“
textlich wie eine expressionistische Landschafts- und
Menschenbeobachtung in introvertiert-feinsinnigem Klanggewand
daherkommt. Hätte das Lied keinen Refrain, keine Melodie – es wäre immer
noch hohe Poesie.
Ja, es lässt sich nicht anders sagen, Geidts Liedermacherqualitäten
entfalten sich am besten dann, wenn – wie auch im an und für sich etwas
depressiv gehaltenen Gesellschaftsuntergangsstück „Die fetten Jahre“
– seine poetische Beobachterbegabung auf seine Lust an schwelgerischer
musikalischer Untermalung trifft. Denn dann, immer dann wird aus dem
Saarländer Henrik Geidt, vielleicht tatsächlich einem Chansonnier unter
vielen, ein Künstler wie wir ihn – Reinhard Mey einmal außen vor
gelassen – kaum, vielleicht gar nicht mehr finden in unseren Breiten:
Der unaufdringliche, aber zu allem bereite Tröster. Auch auf „Rien ne va
plus“ hatte es bereits diese Lieder gegeben, in denen Geidt unsere Hand
nahm, um mit uns durch die Stürme des Lebens zu gehen. Dass sie uns
hier, auf „Beziehungsweisen“, nun aber so nachhaltig
berühren ist seiner Stimme geschuldet. Denn dass der ausgebildete
Opernsänger keiner fachlichen Hinweise mehr bedarf, das dürfte außer
Frage stehen. Dass es aber jemanden brauchte, der ihm das Vertrauen gibt
auch hier ein paar Gänge runterzuschalten und darauf zu vertrauen, dass
seine Stimme auch dann noch trägt, wenn sie ein wenig einbüßt von ihrer
klassisch antrainierten Perfektion, ja sie dadurch einfach nur
menschlicher und wärmer wird, näher an uns heranrückt, das ist
offensichtlich.
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