Sonntag, 14. Juni 2015

Rezension "Beziehungsweisen"

Rezension meiner CD "Beziehungsweisen" von David Wonschewski
Es gäbe für ihn, so ließ Henrik Geidt anlässlich der Veröffentlichung seines letztjährigen Albums „Rien ne va plus“ verlauten, bisher schlichtweg keinen Anlass das Saarland zu verlassen. Ein Statement, das in erster Linie privater Natur ist, lebt der so umtriebige und weitgereiste Chansonnier doch seit seiner Geburt dort. Ein Umstand, der – und damit schlagen wir den Bogen zum künstlerischen Bereich – von den Medien bisher allerdings wahlweise als Alleinstellungsmerkmal oder aber Stigma kommuniziert wird. Denn seit der studierte Musiker 2008 sein Debütalbum vorgelegt hat, hat Henrik Geidt sich fraglos zu einem der zuvorderst zu nennenden Chansonniers seines Bundeslandes entwickelt, dessen Lieder gern gesendet werden über die Kanäle des Saarländischen Rundfunks – jenseits seiner Heimat ist bis dato dafür umso abrupter Schluss, geht bei Sendeanstalten wie Veranstaltern allzu schnell und allzu unberechtigt der Vorhang runter. Zu Unrecht, wie er nun mit seiner CD „Beziehungsweisen“ zum – man weiß schon gar nicht mehr wievielten Male – unter Beweis stellt.
Seine Vielseitigkeit (Geidt verfügt neben dem Chanson auch über weitreichende Ausbildung und Erfahrung im Jazz, in der Kirchenmusik oder mit seinem Bariton auch im Opernbereich) stand dem sympathischen Saarländer bis zu „Rien ne va plus“ fast noch mehr im Weg als seine Herkunft; war dieser Vielseitigkeit bei aller fachlichen Brillanz doch anzuhören, dass der so sehr in seiner Heimat Verwurzelte musikalisch auf der Suche war. Pop-, Rock-, vereinzelt sogar elektronische Spielereien ließen zwar sofort aufhorchen unter jenen, die sich freuten über so viel ungebändigte Experimentierlust, sie ließen sich nur denkbar schlecht in Schubladen stecken, so dass Geidt schnell den Ruf bekam zwar mutig, aber kaum verlässlich einsortierbar zu sein.
Mit „Rien ne va plus“ erfolgte 2014 dann der Schwenk, Geidt beschloss seine diversen musikalischen Talente nicht mehr zeitgleich vom Stapel zu lassen und sich selbst einer klanglichen Reduktion zu unterziehen. Geidt am Piano, begleitet von seinem Freund und Kollegen, dem Kontrabassisten Jörg Jenner, mehr brauchte es nicht. Mut zur Sparsamkeit, so könnte man das Konzept nennen. Mit dem Geidt dementsprechend auch außerhalb des Saarlandes erste Erfolge feiern konnte. Beim Liedermacherfestival in Geretsried erhielt er den Jurypreis und – auch nicht von schlechten Eltern – eine Nominierung zum Preis der Deutschen Schallplattenkritik.
Und nun also „Beziehungsweisen“, eine Platte, die eindrucksvoll zeigt wie sehr ein nicht mehr ganz so breitgefächerter Stil wie ehedem doch zugleich eine künstlerische Fortentwicklung sein kann. Denn Geidt, es lässt sich nicht anders sagen, blüht auf. Bei aller Brillanz, so merkt man nun in der Rückschau, hatten die Chansons auf „Rien ne va plus“ dennoch stets ein wenig gewirkt als sei Geidt ein Autofahrer, der nachts und bei Nebel auf einer schlecht beleuchteten Landstraße unterwegs ist. Konzentration als höchstes Gebot. Davon ist auf „Beziehungsweisen“ nun gar nichts mehr zu verspüren, denn ohne sein so wunder passendes neues Klangkorsett zu verlassen versprüht der Chansonnier eine Spiellaune, die gerade in einem Lied wie „Allerletzte Runde“ mitsamt seiner so wirkungsvoll in Szene gesetzten Klarinette fast schon Klezmer-Züge trägt. Beschwingt reißt das Stück uns mit, unentrinnbar werden wir in diesen feierlustigen Refrain hineingezogen, werden verschluckt von Wein, Weib und Gesang.
Überhaupt diese leicht angesäuselten Liebeslieder, sie scheinen – mal romantisch, mal ausgelassen, mal sanft ironisch – Geidts wirkliches, sein neues Alleinstellungsmerkmal zu sein. Nicht weniger als das erkennen wir anhand einer Komposition wie „Wär doch mal schön“, in der es ihm gelingt die Härte des Beziehungsalltags spielerisch tänzelnd mit einem Schmunzeln unters Volk zu bringen, derweil „Das sogenannte Leben“ textlich wie eine expressionistische Landschafts- und Menschenbeobachtung in introvertiert-feinsinnigem Klanggewand daherkommt. Hätte das Lied keinen Refrain, keine Melodie – es wäre immer noch hohe Poesie.
Ja, es lässt sich nicht anders sagen, Geidts Liedermacherqualitäten entfalten sich am besten dann, wenn – wie auch im an und für sich etwas depressiv gehaltenen Gesellschaftsuntergangsstück „Die fetten Jahre“ – seine poetische Beobachterbegabung auf seine Lust an schwelgerischer musikalischer Untermalung trifft. Denn dann, immer dann wird aus dem Saarländer Henrik Geidt, vielleicht tatsächlich einem Chansonnier unter vielen, ein Künstler wie wir ihn – Reinhard Mey einmal außen vor gelassen – kaum, vielleicht gar nicht mehr finden in unseren Breiten: Der unaufdringliche, aber zu allem bereite Tröster. Auch auf „Rien ne va plus“ hatte es bereits diese Lieder gegeben, in denen Geidt unsere Hand nahm, um mit uns durch die Stürme des Lebens zu gehen. Dass sie uns hier, auf „Beziehungsweisen“, nun aber so nachhaltig berühren ist seiner Stimme geschuldet. Denn dass der ausgebildete Opernsänger keiner fachlichen Hinweise mehr bedarf, das dürfte außer Frage stehen. Dass es aber jemanden brauchte, der ihm das Vertrauen gibt auch hier ein paar Gänge runterzuschalten und darauf zu vertrauen, dass seine Stimme auch dann noch trägt, wenn sie ein wenig einbüßt von ihrer klassisch antrainierten Perfektion, ja sie dadurch einfach nur menschlicher und wärmer wird, näher an uns heranrückt, das ist offensichtlich.
 https://einachtellorbeerblatt.wordpress.com/2015/06/05/rezension-henrik-geidt-beziehungsweisen/